Aufbruch macht Schule

Von Milena Österreicher · · 2024/Nov-Dez
Demonstrierende Frauen in Mexiko
Ulises Ruiz / AFP / picturedesk.com

In Mexiko gibt es Bildungsinitiativen, die Wissen rund um Feminismus vermitteln. Eine davon ist die feministische Schule Ímpetu.

Irgendwann reichte es mit den sexistischen Kommentaren, den Übergriffen, den Vergewaltigungen, den Morden. Eigentlich müsste bei den Tätern angesetzt werden. Doch bis das geschieht, nehmen Frauen in Mexiko die Dinge selbst in die Hand. So wie Montserrat Josette Pérez Campos und ihre Kolleginnen, die in Mexico-Stadt das Bildungsinstitut Ímpetu (auf Deutsch, Anstoß) führen. „Unser Ziel ist es, Frauen und Mädchen zu einem feministischen Nachdenken und Handeln zu bewegen, um dem gewaltvollen Kontext, in dem wir leben, entgegenzutreten“, sagt Pérez Campos bei einem Online-Gespräch mit dem Südwind-Magazin.

Dieser Kontext lässt sich mit Zahlen belegen: 2022 wurden in Mexiko laut dem statistischen Institut INEGI (Instituto Nacional de Estadística y Geografía) täglich im Schnitt zehn bis elf Frauen ermordet. Im Jahr zuvor wurden fast 100.000 Frauen vermisst gemeldet. Viele der Delikte werden nie aufgeklärt, die Täter kommen straffrei davon. Der Alltag vieler Mexikanerinnen ist von Sexismus und Gewalt geprägt.

Wissen als Widerstand. Das Ziel von Ímpetu ist daher Frauen mit Wissen und Handlungsoptionen auszustatten. Das Institut bietet Kurse und Workshops, off- wie online. Im Mittelpunkt steht eine feministische Pädagogik. „Für uns ist das jede Form der Lehre, die Frauen ins Zentrum stellt und zu unserer kollektiven Befreiung beiträgt“, erklärt Direktorin Pérez Campos.

Ímpetu entstand 2010 als eine Organisation, die Workshops mit Jugendlichen machte und eine Nachrichtenagentur betrieb, die sich mit der Lebenssituation junger Menschen etwa in den Bereichen Sexualität, Bildung oder Arbeit, in Mexiko-Stadt befasste. Nach drei Jahren beschlossen die involvierten Frauen, eine andere Richtung einzuschlagen. „Wir leben in einem patriarchalen System, in dem oft vergessen wird, dass junge Frauen andere Fragen haben“, erklärt Pérez Campos. Beispielsweise wenn diese geschlechtsspezifische Gewalt erlebten oder die Schule abbrechen, weil sie schwanger sind. Dafür wollten sie ein spezifisches Angebot schaffen.

Daher startete Ímpetu 2014, dessen Team zu dem Zeitpunkt nur mehr aus Frauen bestand, die Feministische Schule für junge Frauen. Jeden Samstagnachmittag können sich Frauen zwischen 15 und 30 Jahren hier fortbilden. Dabei erfahren sie über Frauenrechte, üben Selbstverteidigung, probieren verschiedene Kunstformen aus und lernen, was sichere Schwangerschaftsabbrüche ausmacht oder wie sie Pfefferspray zuhause herstellen können. Im selben Jahr gründete das Bildungsinstitut auch das feministische Online-Medium La Crítica und startete mit Sommerschulen für Mädchen sowie Online-Workshops für Erwachsene.

Feministisches Basiswissen. Im Angebot: Ein Kurs zur Analyse des Patriachats – was es ist, wo es sich im eigenen Leben niederschlägt, wie es entstand, was es mit Heterosexualität und Kapitalismus zu tun hat. Ein Seminar über Göttinnen der Geschichte, etwa jene des vorspanischen Mexikos oder mittelalterliche Mystikerinnen, sowie ein Workshop zur kritischen Betrachtung romantischer Liebe. Oder ein Workshop zur feministischen Meinungsäußerung, wo Kommentare, Kolumnen, Autobiographien oder Kurzgeschichten analysiert und geschrieben werden. Die Kurse gehen über mehrere Wochen und richten sich derzeit ausschließlich an Frauen. „Die Bildungsangebote sind für uns ein Weg, um Räume für Frauen zurückzuerobern“, sagt die Direktorin. Das Institut finanziere sich durch die Teilnahmegebühren. Für einen sechswöchigen Onlinekurs zahlen Frauen aus lateinamerikanischen Ländern rund 61 US-Dollar, Frauen aus dem Globalen Norden 100 US-Dollar.

Erfolgreiches Bestehen. Im Lauf der Jahre seien mehrere hundert Absolventinnen zusammengekommen, eine genaue Zahl gebe es nicht. Einige Teilnehmerinnen würden immer wieder zurückkehren und weitere Kurse belegen. Negative Reaktionen kämen hauptsächlich von Internet-Trollen und Männern, die über feministische Arbeit verärgert seien. Der größte Erfolg sei aber das mittlerweile 14-jährige Bestehen.

Während rechtskonservative Politiker:innen rund um den Globus Frauenministerien abschaffen, das Geld für Gewaltschutzmaßnahmen streichen oder das Gendern verbieten, setzt sich Ímpetu weiter für die Verbreitung feministischen Wissens ein. Und wird dies so lange tun, bis es diese Schule irgendwann nicht mehr braucht.

Milena Österreicher ist Chefredakteurin des MO-Magazins für Menschenrechte. Zudem schreibt sie als freie Journalistin über Feminismus, Menschenrechte und Migration.

Globaler Feminismus: Konventionen und Grundbegriffe

CEDAW

Im Dezember 1979 verabschiedete die UN-Generalversammlung das „Übereinkom­men zur Beseitigung jeder Form von Dis­kriminierung der Frau“, CEDAW. Bis heute haben 189 Staa­ten (Österreich, 1980) das rechtsverbindliche Übereinkommen ra­tifiziert, Ausnahmen: Iran, Palau, Sudan und die USA. CEDAW ist das international wichtigste Abkommen für Frauenrechte, indem es die Vertragsstaaten zur Gleichstellung von Frauen verpflichtet und ihnen auferlegt, eine aktive Politik zur Beseitigung von Dis­kriminierung zu betreiben. Doch: Es fehlt ein effizienter Sanktionsmechanis­mus, der Staaten zur Umsetzung zwingt.

Istanbul-Konvention

Die „Istanbul-Konvention“ ist das 2011 ge­schlossene Übereinkommen des Europa­rats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Ge­walt. Der völkerrechtlich bindende Vertrag verpflichtet die unterzeichnenden Staaten, darunter Österreich, die Gleichstellung der Geschlechter in ihren jeweiligen Verfassungen und Rechtssystemen zu verankern und sämtliche dis­kriminierenden Vorschriften gegen Frauen abzuschaffen. Es ist das erste interna­tionale Abkommen, in dem Geschlecht nicht nur rein biologisch definiert wird. Bis zum Jahr 2024 haben 39 der insgesamt 45 Unterzeichnerstaaten des Europarates die Konvention in ihrer Gesetzgebung veran­kert.

Heteronormativität

Mit der Vorstellung, dass nur Heterosexualität die „nor­male“ und „natürliche“ sexuelle Orientie­rung darstellt, ist die Überzeugung verbunden, dass es nur zwei Geschlech­ter geben kann, Frau und Mann (Geschlechterbinarität). Das führt zu Diskriminierung und in manchen Ländern auch zu Bestrafung jener, die anders leben und lieben.

Intersektionalität

Der Begriff Intersektionalität geht auf die afro­amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw zurück, die damit Ende der 1980er-Jahre anhand des Bildes einer Straßenkreuzung (intersection) beschrieb, wie verschiedene Unterdrückungsformen im Leben einer betroffenen Person miteinander verschränkt sind. Intersektionaler Feminismus gründet auf dem Verständnis, dass der Kampf gegen Sexismus immer auch mit dem Kampf gegen andere Diskriminierungsfor­men wie etwa Queerfeindlichkeit, Rassis­mus, Antisemitismus, Muslimfeindlich­keit, Klassismus oder Behindertenfeind­lichkeit verbunden sein muss.

Sexuelle und reproduktive Rechte

Das Recht von Frauen, über Fragen von Sexuali­tät und Mutterschaft selbst zu entscheiden, ist insbesondere für konservative und viele kirchliche Kreise ein riesiger Aufreger, vor allem das Recht auf Abtreibung. Häufig missach­tet werden auch das Recht auf Verhütung sowie das Recht, Partner:in und Familien­form selbst zu wählen.
Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Österreich nicht strafbar, wenn er innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft von einer Ärztin oder einem Arzt vorgenommen wird, sogenannte „Fristenlösung“. In Ländern wie Nicara­gua, Honduras und El Salvador ist eine Ab­treibung selbst bei Vergewaltigung oder Gefahr für das Leben der Frau verboten.

Nana Heidhues, Michael Krämer, Simone Schlindwein, red (gekürzte Version)

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